Der Redebeitrag unseres Fraktionsvorsitzenden Dr. Jens-Christian Kraft in der Stadtverordnetenversammlung vom 23.03.2023 zum TOP 9 - Verkehrsversuch "unechte Fahrradstraße", mehrheitlich beschlossen von SPD und Grünen gegen die Stimmen von CDU und FDP.
+++++

Sehr geehrte Damen und Herren,
die Beschlussvorlage über den Verkehrsversuch in der Daubringer Straße ist gut geeignet, um auch mal politische Unterschiede zwischen den Fraktionen aufzuzeigen und zu debattieren.

Die CDU-Fraktion lehnt den Verkehrsversuch ab. Ich möchte eine kurze Auswahl von Gründen und Argumenten anführen.

  1. Es soll ein Verkehrsversuch durchgeführt werden. Ein Versuch kann funktionieren oder schief gehen. In jedem Falle sollte man, sofern man es mit dem Versuchsaufbau ernst meint, im Vorhinein objektive und messbare Ziele definieren, anhand derer man im Nachhinein Erfolg oder Misserfolg beurteilen kann.
    Überraschenderweise wurde der Verkehrsversuch auf der K29 per Pressemitteilung der Grünen als Erfolg proklamiert, u.a. da es ja weniger dokumentierte Wildunfälle gegeben habe. Dies ist ein gutes Beispiel: im Nachhinein werden gerne anekdotenhaft neue Aspekt genommen um einen Erfolg zu sehen. Hätte man im Vorhinein gesagt, ein wichtiges Ziel der Fahrradstraße läge in der Reduktion von Wildunfällen, hatte man nur den Kopf geschüttelt.
    Folgende Prognose kann man sicherlich jetzt schon geben: Während des Verkehrsversuchs in der Daubringer Straße wird es dort keinen einzigen Wildunfall geben.

  2. Wir als CDU sehen Tempo 30 in der Daubringer Straße durchaus als wünschenswert an. Die derzeitige Rechtslage gibt es nicht her. Das Konstrukt eines Verkehrsversuches, der keine objektiven Zielkriterien prüft, sollte nicht grundsätzlich als Vehikel genutzt werden, um eine geltende Rechtslage zu umgehen.

  3. In der SNUB-Sitzung hatte Herr Zuckermann, mit dem wir einen sehr angenehmen und ehrlichen Austausch hatten, gesagt, dass ein Erfolgskriterium in gewisser Weise auch die Anwohnerakzeptanz sei. Am Rande des SNUBs wurden auch Anwohner-Umfragen verteilt und diskutiert. Und diese Diskussion hat schön gezeigt, wie sehr Umfragen und Antworten auch fehlinterpretiert werden können. Und dass man vorsichtig sein muss bei nicht-repräsentativen Meinungsbildern.

  4. Man muss oder man sollte – und dies ist das Selbstverständnis der CDU – die Interessen aller Verkehrsteilnehmer und aller Bürger der Stadt berücksichtigen und gegeneinander abwägen.
    Es soll ja Stadtverordnete geben, die einen Waldkindergarten im eigenen Ortsteil ablehnen, weil vielleicht 10 Autos mehr am Tag vorbeifahren könnten.
    Bei politischen Entscheidungen die wir als gewählte Volksvertreter treffen, geht es aber nie um die eigene Wohnsituation. Übrigens hatten im SNUB zwei Anwohner aus der Daubringer Straße Rederecht. Einer war für, einer gegen den Verkehrsversuch.

  5. Es handelt sich um Symbolpolitik. Jetzt kann man sicherlich sagen, auch Symbolpolitik ist wichtig – für jede politische Partei. Aber Symbolpolitik kann auch den eigenen politischen Zielen im Weg stehen. Nämlich dann, wenn sie die Akzeptanz in der Bevölkerung senkt.

  6. Die Fahrradstraße an dieser Stelle hat keinen Nutzen fürs Klima. Es werden keine Fahrten dauerhaft ersetzt, kein CO² eingespart. Es findet allenfalls ein leichter Verdrängungseffekt statt, der in Summe mit der K29 vielleicht sogar zu mehr gefahrenen PKW-Kilometern führt.

  7. Um dauerhaft PKW-Fahrten zu reduzieren, muss man sich anschauen, auf welchen Routen dies nachhaltig Sinn macht und an welchen Streckenabschnitten es liegt, dass das Rad letztlich nicht dauerhaft genutzt wird. In Lollar ist dies nun mal die Nord-Süd-Achse, Gießener und Marburger Straße.
    Überrascht war ich hier von den Aussagen der Rot-Grünen Koalition im SNUB. Zum einen wurde gesagt, dass bspw. Kinder ja ohnehin kaum mit dem Fahrrad die Marburger Straße hoch zur CBES fahren würde, weil es zu gefährlich ist. Aber das ist doch eine Henne-Ei-Diskussion. Wenn die Straßenführung so bleibt, wird sich kaum jemand mit dem Fahrrad auf diesen Streckenabschnitt trauen. Und wenn man dort eh kaum Radfahrer sieht, kann man hier Argumente finden um alles auch die nächsten 50 Jahre so zu lassen wie es ist.
    Es sagt auch keiner, dass eine verkehrstechnische Lösung dort einfach ist. Aber hinsichtlich der dauerhaften Reduktion von PKW-Fahrten und des CO²-Ausstoßes und mit Blick auf das Klima und die Klimaziele der nächsten 20 Jahre ist diese Strecke möglicherweise die einzige, die bei einer sinnvollen und von der Bevölkerung akzeptierten Umsetzung überhaupt einen nennenswerten positiven Effekt haben kann.

  8. Der Verkehrsversuch bringt viel Arbeit für die Stadtverwaltung und andere Behörden mit sich. Die Koalition lehnt ja gerne Anträge der Opposition, die ihr nicht gefallen, ab, mit der Begründung, dass es unnötige Arbeit für die Stadtverwaltung bedeutet. Diesen Beschluss heute kann man unter diesem Aspekt mal wirken lassen.

  9. Der Verkehrsversuch wurde in der SNUB-Debatte u.a. mit groben Geschwindigkeitsüberschreitungen (über 60 km/h) begründet. Es gibt jedoch schon jetzt geeignete und wirksame Mittel, um grobe Geschwindigkeitsverstöße oder Gefährdungen durch zu enges Überholen von Fahrradfahrern (welches schon jetzt verboten ist) zu ahnden. Diese Mittel sollten ausgeschöpft werden.

  10. Der Verkehrsversuch wird auch mit einer Reduktion der Lärmbelastung für die Anwohner begründet. Dieses Argument wurde in der SNUB-Sitzung von einem Anwohner der Daubringer Straße selbst entkräftet: Es entsteht nicht weniger Lärm, wenn ein Autofahrer mit 15 km/h im zweiten Gang einem Fahrradfahrer hinterherfährt.

Die CDU-Fraktion wird mit NEIN stimmen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

« Haushalt 2023: "Eine große Hypothek für unsere Stadt" "Schwerpunkte der Kreis-Koalition sind in Lollar positiv sichtbar" »

Jetzt teilen: